Nach tot kommt mausetot

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Wirte klagen: Wer sein Bier daheim trinkt, ruiniert ihr Kneipen-Geschäft.       Foto: dre

Statt Leuten gehen im Stadtteil Röttgen die Gastronomie-Betriebe aus

Die Eckkneipe stirbt – und das nicht erst seit dem Nichtrauchergesetz. Bereits seit 2001 bleiben in den Bonner Außenbezirken und dem Rhein-Sieg-Kreis immer mehr Zapfhähne trocken. In NRW schlossen in den vergangenen zehn Jahren rund 5000 Schankwirtschaften. Doch auch wenn das Konzept Eckkneipe überholt scheint, es gibt sie noch. In Röttgen kämpft Lars Eike Martin als einer der Letzten mit seiner gegen das Aussterben der Gastronomie.

Seit knapp 30 Jahren steht er an den Zapfhähnen in seiner Kneipe „Die scharfe Ecke“. In den drei Jahrzehnten hat das Bonner Urgestein viele Kollegen kommen und scheitern sehen. „Ich bin der letzte Mohikaner“, sagt Martin. Dass er immer noch da ist, sei ein harter Kampf gewesen. „Gegen die Stadt und gegen die Bewohner“, sagt er

Viel Gegenwind hätten sie ihm entgegengeblasen. Seine kleine Gaststätte im Stile einer Hamburger Kiezkneipe, in der früher leicht bekleidete Frauen an der Stange getanzt hätten, sorgten im bürgerlichen Röttgen schnell für Aufsehen und Gesprächsstoff. „Hintenrum haben sie geschwätzt. Und vorne an den Fenstern haben sie sich die Nasen platt gedrückt“, erinnert sich der bullige Wirt.

Die Stadt habe ihm bald untersagt, die „Puppen“ auf den Tischen tanzen zu lassen. Sogar Drohbriefe habe er von einigen Anwohnern bekommen. Etwa sechs Jahre sei das nun schon her. „Aber mich kriegen die hier nicht weg“, sagt Martin. „Ich bin gekommen um zu bleiben.“

Und das ist auch gut so, bestätigen zumindest seine Gäste. Viele Möglichkeiten in Röttgen auszugehen, gibt es nämlich nicht. „Der Ort ist tot“, sagt Wolfgang Quest (71). „Hier gibt es nichts, wo man abends hingehen kann.“ Seit drei Jahren ist er als Aushilfe im Gastroservice in der Andreas-Hermes-Akademie (AHA) angestellt. Ende März schließt die Akademie, denn sie wurde jüngst an die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) verkauft.

Neue Kegelbahn gesucht

Zugegeben, das Tagungshaus ist nicht die klassische Kneipe, aber mit ihrer Kegelbahn für viele Kegelfreunde aus Röttgen der letzte Anlaufpunkt vor Ort. Claudia Lindner trifft es doppelt hart. Die Service-Mitarbeiterin verliert mit dem Verkauf der Akademie ihren Arbeitsplatz und den wöchentlichen Treffpunkt mit ihren Freunden. „Wir kegeln hier seit etwa sechs Jahren. Jetzt müssen wir mit Bus und Bahn oder Fahrgemeinschaften zur nächstgelegenen Kegelbahn fahren“, sagt die 45-Jährige wehmütig. Die Kegelfreunde hätten, wie sie sagt, zwar sehr schnell eine neue Bahn gefunden. Trotzdem sei es eben nicht zuhause, wo man auch mal zu Fuß heimgehen konnte, wenn es etwas später wurde.

Das Jobproblem ist für die Röttgenerin aber weitaus schlimmer. Nach dem Verkauf der Akademie stehen die Mitarbeiter auf der Straße und alle brauchen wieder einen Job – in der Gastronomie.

Die Gäste aus dem Tagungshaus haben natürlich auch Lars Eike Martin in seiner „Scharfen Ecke“ besucht – längst ist sein Laden Kult und weit über Röttgens Grenzen hinaus bekannt. Trotzdem sagt er: „Ich habe mein eigenes Stammpublikum. Die Akademiegäste brauche ich nicht zum Überleben.“

Nicht auf Tagungsgäste angewiesen

Das sieht Galip Kulat ähnlich. Seit gut sieben Jahren betreibt er das „Pizza Castle“ in unmittelbarer Nähe der Andreas-Hermes-Akademie. Gäste der AHA kämen vor allem sonntagabends zum Essen. Zwar gibt es im „Pizza Castle“ auch einige Tische, ein Kneipenersatz ist der Laden an der Reichstraße dennoch nicht. Nur wenige Besucher nutzen die Gelegenheit, hier zu essen. Eher werden Pizza, Döner, Lahmacun oder Schnitzel telefonisch bestellt und abgeholt oder nach Hause liefern. „Ich habe also nicht nur Röttgener als Kunden“, sagt Kulat.

Die Übernahme der Andreas-Hermes-Akademie durch die GiZ sehe dementsprechend gelassen: „Mit dem neuen Betreiber kann es auch besser werden. Nicht nur für uns, sondern für ganz Röttgen.“

Zurück in der „Scharfen Ecke“ – sitzen Lars Eike Martin und Stammgast Herbert Probst zusammen am Tresen wie fast jeden Abend. Probst hebt sein Kölsch und prostet Martin zu. „Wenn et disch net jäbe“, sagt er. Seit 13 Jahren kommt er immer wieder gerne in seine Stammkneipe in der Hubertus-Allee. „Weil mir dat jemütlische Ambiente so jut jefällt“, sagt Probst. Und wenn die „Scharfe Ecke“ auch einmal schließt? Probst: „Dann ist Röttgen mausetot!“

(dre, bar, dw)

 
 

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Bis dahin, Euer Daniel Waldschik

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